„HIV-positive Menschen erfahren zum Teil nach wie vor eine übertriebene, nicht angemessene Ausgrenzung und Stigmatisierung. Die Angst, HIV übertrage sich unter anderem schon durch normale Körperkontakte wie Händeschütteln oder dem Trinken aus einem Glas, ist vollkommen unberechtigt und trotzdem teils immer noch weit verbreitet“, bedauert Dr. Markus Berg, Oberarzt der Medizinischen Klinik II. Er kümmert sich seit 2012 hauptverantwortlich um die Patientinnen und Patienten der HIV-Ambulanz am Klinikum Darmstadt.
Eine Aufklärung über die Krankheit und ihre Infektionswege sei auch aus Präventionsgründen immens wichtig. HIV bedeutet „Humanes Immundefizienz-Virus“. Die HI-Viren schädigen die körpereigenen Abwehrkräfte. Ohne Behandlung vermehren sich die Viren ungebremst und der Körper ist dann nicht mehr in der Lage, Krankheitserreger angemessen zu bekämpfen; es treten (wiederholt) lebensbedrohliche Erkrankungen auf – beispielsweise spezielle Lungenentzündungen. Dieses Stadium der Erkrankung wird AIDS genannt.
Fakt ist: Im Alltag, in der Freizeit, bei der Arbeit oder beim Sport sind die HI-Viren nicht übertragbar. Selbst bei intensiven Zungenküssen ist eine Ansteckung auch ohne Therapie nicht zu erwarten, weiß Dr. Berg. Es gibt drei Übertragungswege mit hohem Risiko: ungeschützter Vaginal- und Analverkehr, während der Geburt beziehungsweise beim Stillen des Neugeborenen bei einer HIV-positiven Mutter, sowie das gemeinsame Benutzen von infizierten Spritzen und Nadeln beim Drogenkonsum. Wenn diese Patientengruppen eine wirksame Therapie in Form von Tabletten regelmäßig einnehmen und das Medikament die Virusvermehrung erfolgreich unterdrückt, geht auch die Übertragungswahrscheinlichkeit der oben genannten Szenarien gegen null Prozent. Bei medizinischen und kosmetischen Behandlungen oder beim Tätowieren und Piercen besteht beispielweise kein Übertragungsrisiko, sofern die hygienischen Vorschriften eingehalten werden.
Dr. Berg bemerkt zwei gegensätzliche Entwicklungen, wie die Erkrankung in der Gesellschaft wahrgenommen wird: Einerseits werden HIV-Positive noch immer ausgegrenzt, andererseits habe sich das Wissen verbreitet, dass die HIV-Infektion gut behandelbar ist – Infizierte haben unter wirksamer Therapie eine fast ebenso hohe Lebenserwartung wie HIV-negative Menschen. Zudem ist die Therapie denkbar einfach: Mit der dauerhaften, gewissenhaften Einnahme meist nur einer einzigen Tablette am Tag, wird die Viruslast unter der Nachweisgrenze gehalten. Damit ist eine Übertragung auch bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr nahezu ausgeschlossen, wie neueste Studien bereits belegen.
Trotzdem mahnt Dr. Berg: „Durch den medizinischen Fortschritt sind die Therapien wirksamer, verträglicher und einfacher als noch in den 80er und 90er Jahren. Das sorgt aber nicht zwangsläufig dafür, dass die Neuinfektionen signifikant zurückgehen. Den Tiefststand von etwa 1.500 Neuinfektionen pro Jahr um die Jahrtausendwende haben wir nie wieder erreicht. Wir bewegen uns seit fast einem Jahrzehnt auf einem nahezu konstanten Level von knapp 3.000 Neuinfektionen pro Jahr.“ Er warnt eindringlich davor, die Prävention zu vernachlässigen und sich von dem Gedanken verleiten zu lassen, dass HIV nun heilbar sei. „Ich habe schon den Eindruck, dass die Vorsicht nicht mehr so groß ist wie noch in den 80er und 90er Jahren, als die Krankheit erhebliche Einschränkungen mit sich brachte und nicht selten ein Todesurteil war“, so Dr. Berg.
In der HIV-Ambulanz am Klinikum Darmstadt werden Patienten und Patientinnen mit HIV-Infektion seit fast 30 Jahren betreut. Sie ist die einzige Anlaufstelle im Großraum Darmstadt-Dieburg und nimmt damit eine zentrale Rolle ein in der regionalen Versorgung der HIV-positiven Menschen. Die behandelnden Zentren sind relativ rar. Etliche Qualitätsanforderungen der Krankenkassen im Sinne von Dokumentation sowie spezieller Fort- und Weiterbildungen der Ärzte müssen erfüllt sein. Die nächsten Zentren im erweiterten Umkreis sind in Mannheim, Frankfurt, Wiesbaden, Mainz und Würzburg zu finden.
Dr. Berg behandelt in der HIV-Ambulanz positive Patientinnen und Patienten, die zu ihm überwiesen wurden: „Wir führen bei uns kein Routine-Screening bei bislang HIV-negativen Personen durch und das Vorliegen der Infektion ist von außen oft nur schwer zu erkennen. Deshalb ist es ganz unterschiedlich, wann und bei welchem Arzt oder in welcher Situation die Erkrankung in Betracht gezogen und nach einem positivem Test entdeckt wird.“ An erster Stelle stehen die ausführliche Anamnese, die eingehende Beratung und körperliche Untersuchung: „Was bedeutet es, HIV-positiv zu sein? Wie funktioniert die Therapie? Wie gehe ich damit um?“ sind nur einige Fragen, die Patientinnen und Patienten beschäftigen. In der offenen Sprechstunde der HIV-Ambulanz finden sie für diese Fragen kompetente Ansprechpartner und bekommen Antworten.
Bei der Erstvorstellung wird, neben bestimmten Laborwerten wie der Erfassung des Immunstatus sowie der Kontrolle von Leber- und Nierenwerten, auch ein sogenannter Resistenztest des Virus angelegt. Dieser Test erfolgt, weil manchen Patienten von vorneherein nur eine beschränkte Medikamentauswahl zur Verfügung steht. Meist ein bis zwei Wochen nach der Erstberatung beginnt die Therapie, in manchen Fällen auch schon beim ersten Kontakt. Derzeit kann der behandelnde Arzt aus etwa acht bis zehn Medikamente auswählen. Sind der Patient oder die Patientin eingestellt, kommen sie in der Regel einmal im Quartal in die HIV-Ambulanz für Kontrolltermine mit Blutuntersuchungen, um die Viruslast, den Status des Immunsystems und den Gesundheitszustand zu überprüfen. Aus jetziger Sicht ist das noch ein Leben lang nötig. Ob in Zukunft geeignete Therapien zur Eliminierung der Infektion aus dem Körper möglich sind, wie beispielsweise bei der Hepatitis C, untersuchen derzeit klinische Studien.
Eine gewissenhafte und lückenlose Einnahme des Medikaments ist äußerst wichtig, denn die HI-Viren können sich bei unregelmäßiger Einnahme auf das Medikament „einstellen“ und Resistenzen entwickeln, sodass die Wirksamkeit nur noch in Teilen vorhanden ist.
Um HIV-positive Menschen nicht nur medizinisch umfassend zu beraten, sondern auch auf psychosozialer Ebene zu unterstützen, kooperiert die HIV-Ambulanz unter anderem mit der AIDS-Hilfe Darmstadt. So werden HIV-Positive ihr Leben lang betreut und können, trotz der Erkrankung, ein Leben mit nur wenigen Einschränkungen führen – sofern sie nicht von Unwissenden stigmatisiert werden.