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Pulssynchroner Tinnitus: Ursachen, neuroradiologische Diagnostik und mögliche Therapien bei Herzschlag im Ohr

Gesundheitstipp von Prof. Marius Hartmann, Direktor des Instituts für Radiologie, Neuroradiologie und Nuklearmedizin

Pulssynchroner Tinnitus unterscheidet sich von anderen Formen des Tinnitus durch das synchrone Auftreten der Ohrgeräusche mit dem eigenen Puls oder Herzschlag. Pulssynchroner Tinnitus kann für Betroffene eine herausfordernde und belastende Erfahrung sein.

Der pulssynchrone Tinnitus wird „objektiver Tinnitus“ genannt, weil das Ohrgeräusch auch von anderen Personen zum Beispiel durch Abhören mit dem Stethoskop am Schädel und den Halsgefäßen. Er kann ein- oder beidseitig auftreten und entsteht durch turbulenten Fluss in den Kopf- und Halsgefäßen. Diese Flussgeräusche werden über den Knochen zum Ohr geleitet und vom Betroffenen wahrgenommen. Die Intensität und Frequenz des pulssynchronen Ohrgeräuschs können je nach Höhe des Blutdrucks, der Pulsfrequenz und der zugrunde liegenden Erkrankung unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Besonders belastend sind diese Ohrgeräusche bei Stille wie beim Einschlafen, während des Schlafes oder beim konzentrierten Arbeiten. Der eigentliche Tinnitus wird auch „subjektiver Tinnitus“ genannt, weil er nur von der betroffenen Person gehört wird. Ursache ist eine Fehlfunktion des Gehörs. Er ist die häufigste Form und wird als Rauschen, Klingeln oder Pfeifen wahrgenommen. Er ist meistens nicht pulssynchron.

Ursachen

Unterschiedliche Erkrankungen der Kopf- und Halsgefäße können den pulssynchronen Tinnitus verursachen:

  • Arterio-venöser Kurzschluss (AV-Fistel) und Blutschwamm (AV-Malformation, Abb. 1 und 2)
  • Gefäßeinengung (Stenose) bei Atherosklerose oder Gefäßwandeinriss (Dissektion, Abb. 3)
  • Krankhafte Gefäßerweiterung (Aneurysma Abb. 3)
  • Gefäßreiche Tumore in oder nahe der Schädelbasis
  • krankhafte Veränderungen der großen venösen Blutleiter, z.B. Stenose nach Sinusthrombose (Abb. 4)
  • Gefäßreiche Raumforderung nahe der Schädelbasis oder am Hals (z. B. Glomustumor)
  • oder Gewebestrukturen, die auf die Halsgefäße drücken und einengen; z.B. sehr langer Knochensporn (Griffelfortsatz) an der Schädelbasis (lat. Proc. stylohyoideus sog. Eagle- Syndrom)
     

Diagnosemöglichkeiten

Neben der Anamnese ist das Abhören an typischen Stellen des Schädels und der Halsgefäße wegweisend. Ursachen lassen sich mit Ultraschall, Computertomographie, CT-Angiographie, Kernspintomographie und MR-Angiographie abbilden. Zur Diagnosesicherung und Therapieplanung ist eine Untersuchung in Kathetertechnik unverzichtbar. In der Hand eines erfahrenen Neuroradiologen ist diese Untersuchung mit geringem Risiko verbunden.

 

Therapie

Die Art der Behandlung ist abhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung, dem Behandlungsrisiko und vom spontanen Hirnblutungsrisiko. Eine der häufigsten Ursachen für pulssynchronen Tinnitus ist die durale arterio-venöse Fistel (dAVF). Durale AV Fisteln sind Kurzschlussverbindungen zwischen einer Arterie und einer Vene an der harten Hirnhaut (Dura mater). Sie sind keine statischen Läsionen. Spontane Rückbildung und Heilung sind möglich, aber selten. Durale AV-Fisteln werden nach dem venösen Drainagemuster eingeteilt, da dieses das Hirnblutungsrisiko vorhersagt.

Aber auch der persönliche Leidensdruck durch das pulssynchrone Ohrgeräusch ist für die Therapieentscheidung maßgeblich. Beeinträchtigt der Tinnitus das private und berufliche Leben bis hin zur Berufsunfähigkeit, ist eine Behandlung angeraten. Therapie der Wahl ist der Fistelverschluss in Mikrokathetertechnik, wobei der Fistelpunkt über die zuführende Arterie meist mit Gewebekleber verschlossen wird.

Manchmal kann die Fistel durch Verschluss der ableitenden Hirnvenen behandelt werden oder es wird ein kombinierter Therapieansatz gewählt. Bei komplexen Fisteln sind oft mehrere Behandlungen notwendig. Eine Einengung (Stenose) der großen venösen Blutleiter kann erfolgreich mit einem Stent und Aufdehnung (PTA) behandelt werden.

Eine Sonderform der dAVF ist die sog. Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel (CCF). Diese ist eine Kurzschlussverbindung zwischen der inneren (Arteria carotis interna) und/oder äußeren Halsschlagader (Arteria carotis externa) und dem Sinus cavernosus. Der Sinus cavernosus ist ein venöses Geflecht an der Schädelbasis, der das Blut aus dem Schädelinneren und auch aus der Augenhöhle über die Halsvenen ableitet. Da bei einer CCF der Blutabfluss aus der Augenhöhle gestört ist, kommt es neben dem pulsatilen Tinnitus regelhaft auch zu einer Rötung und Schwellung des Auges manchmal auch mit Doppelbildern. Die CCF kann spontan (indirekte CCF) oder nach einem schweren Schädel-Hirn- Trauma (direkte CCF) entstehen. Sie kann meist mit Platinspiralen und/oder mit Flüssigkleber über die Arterien oder Venen erfolgreich behandelt werden.

Abb. 1 Carotis-Sinus-cavernosus-Fistel (CCF)
A: Große CCF (Stern) mit abnormem venösem Blutabstrom in die Augenhöhle (dicker Pfeil) und zu den Hirnstamm- und Kleinhirnvenen (kleine weiße Pfeile), was ein hohes Hirnblutungsrisiko (Schlaganfall) bedeutet.
B: Platinspiralpaket im Sinus cavernosus nach Embolisation.
C: Nach Verschluss der CCF mit Platinspiralen; Gefäßdarstellung mit normaler venöser Drainage.

Abb. 2: Durale Arterio-venöse Fistel
A: Kurzschluss zwischen Ästen der äußeren Halsschlagader und den große abführenden Venen im Schädelinnern (Pfeile).
B u. C: Kompletter Verschluss der Gefäßfistel mit Flüssigkleber, der netzartig die Gefäße ausfüllt (b, Pfeile).

Abb. 3: Dissektion der Halsschlagader
A: Gefäßeinengung (Stenose, weißer Pfeil) und Pseudoaneurysma (leere Pfeile)
B: Behandlung durch Einbringen eines den Fluss steuernden Stents (sog. FlowDiverter Stent, Pfeile)
C: Die 6-Monatskontrolle zeigt eine komplette Heilung des Gefäßes. Persistierendes Verschwinden des pulssynchronen Tinnitus.

Abb. 4:
A: venöse MR-Angiographie zeigt sehr gut die Einengung des großen venösen Blutleiters (Sinus transversus, roter Pfeil)
B: Katheterangiographie venöse Phase bestätigt die hochgradige Stenose (roter Pfeil)
C, D: Bild nach Stentinplantation (weiße Pfeile) und komplette Beseitigung der Stenose

Patient unmittelbar nach der Behandlung und weiterhin beschwerdefrei.