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Was offenbaren Obduktionen?

"Will man den Lebenden helfen, muss man den Tod verstehen", zutiefst davon überzeugt ist PD Dr. med. Frank Bergmann, Direktor des Instituts für Pathologie am Medizinischen Versorgungszentrum des Klinikums Darmstadt. Im Interview spricht er über die Wichtigkeit von Obduktionen und was diese über Krankheiten und die Schäden, die etwa Corona in Körpern anrichten können, enthüllen:

Bei einer Obduktion kommt man Verstorbenen ja sehr nahe. Das Robert-Koch-Institut hat im Frühjahr vor Obduktionen von Covid-19-Patienten gewarnt, weil die Ansteckungsgefahr hoch ist. Reichen Gesichtsmasken, Augenschutz und Schutzkleidung nicht aus, um dem vorzubeugen?
Die Warnung des Robert Koch Instituts basierte darauf, dass bei Obduktionen, insbesondere bei der Präparation der Lungen, virushaltige Aerosole entstehen können. Insbesondere in schlecht belüfteten Räumen können sich diese längere Zeit in der Raumluft halten, und so zu einer potentiellen Virusübertragung führen. In der Tat besteht für Pathologen jedoch – wie auch für die Kollegen auf den Corona-Stationen - die Möglichkeit, sich durch die genannten Schutzmaßnahmen, insbesondere die Gesichtsmasken, ausreichend zu schützen. Übrigens sind wir mit derartigen Situationen durchaus vertraut, da wir auch in der Vergangenheit schon regelmäßig mit infektiösen Erkrankungen wie zum Beispiel Tuberkulose zu tun hatten.

Was kann man, mit Blick auf das bislang immer noch relativ unbekannte Coronavirus, bei Obduktionen erfahren?
Das beginnt mit scheinbar banalen, für die Klinik jedoch unter Umständen hoch relevanten Befunden: welche Organe sind betroffen, welche nicht? Im ersten Schritt untersuchen wir bei einer Obduktion alle Organe makroskopisch, das heißt, wir beschreiben das, was wir mit dem bloßen Auge erkennen können. Finden wir zum Beispiel größere Gefäßverschlüsse, Infarkte, Eiteransammlungen? Im nächsten Schritt werden ausgewählte Proben unter dem Mikroskop untersucht. Hier erkennen wir auch Veränderungen im Gewebe, die mit dem bloßen Auge nicht sichtbar sind. Mit Blick auf das Coronavirus können wir so ganz genau den Schaden beschreiben, den das Virus im menschlichen  Körper anrichtet. Auch können wir aus den Gewebsveränderungen Rückschlüsse auf den Ablauf der Erkrankung ziehen, die zugrunde liegenden Mechanismen. Dies ist insbesondere dann sehr aufschlussreich, wenn wir die Gewebsveränderung mit den zu Lebzeiten gewonnenen klinischen Befunden korrelieren können. Wir können bei diesen Obduktionen zudem einschätzen, welche Erkrankungen schon länger bestanden haben, also vor der Virusinfektion, und welche Veränderungen auf das aktuelle Infektionsgeschehen zurückzuführen sind. So gelingt es, mögliche Risikofaktoren für COVID-19 zu identifizieren, sobald eine kritische Anzahl an Obduktionen durchgeführt wurde.

Ärzte des Uni-Spitals in Basel berichteten früh über die Obduktion von 21 Corona-Patienten. Anscheinend stand bei diesen Patienten weniger eine Lungenentzündung im Vordergrund, stattdessen fanden Ihre Kollegen heraus, dass bei vielen eine Störung der Mikrozirkulation der Lunge vorlag. Was bedeutet das?
Es hat sich gezeigt, dass das Coronavirus in der Lunge und auch in anderen Organen zu einer Schädigung kleinster Blutgefäße führen kann, wenn es deren Zellen befällt, verbunden mit einer Entzündungsreaktion in der Gefäßwand. Der Blutfluss durch diese Gefäße wird gestört, es bilden sich Blutgerinnsel, die an der Gefäßwand anhaften und die Gefäße schließlich komplett verschließen. Das Problem: so wird unter anderem verhindert, dass Sauerstoff aus den Lungenbläschen adäquat in das Blut gelangt. In der Folge wird das Gewebe nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt. In der Lunge werden die Zellen geschädigt, die die Lungenbläschen auskleiden, was ebenfalls eine Entzündungsreaktion hervorruft und eine Kaskade von Veränderungen auslöst, die wir als akutes Atemwegssyndrom zusammenfassen und unter anderem bereits von Patienten kennen, die schwere Schockzustände durchgemacht haben.

Eine andere Studie aus Hamburg hat sich auch mit der Todesursache beschäftigt. Danach war bei 74 von 80 der  Verstorbenen Covid-19 die Todesursache. Woran sieht man das?
In der Hamburger Studie wurde Covid-19 als Todesursache klassifiziert, wenn ursächlich ein akutes Atemwegssyndrom, eine Lungenentzündung oder eine typische Folge einer Infektionskrankheit gefunden wurde. Die Autoren der Studie berichteten, dass bei 10 % der von Ihnen als Covid-19 klassifizierten Todesursachen ein gleichwertiger alternativer Grund durch eine andere Krankheit vorgelegen hätte. Überhaupt wurden in der Hamburger Studie bei fast allen Patienten, die ein Durchschnittsalter von 79,2 Jahren aufwiesen, relevante Vorerkrankungen beschrieben. Im Einzelfall kann es sehr schwierig oder auch einmal unmöglich sein, die exakte Todesursache zu ermitteln, insbesondere dann, wenn mehrere schwere Erkrankungen gleichzeitig bestehen. 

Was kann man aus solchen Ergebnissen lernen? Kann man Therapieoptionen daraus ableiten?
Die Beschreibung der pathologischen Veränderungen im Gewebe bildet die Grundlage zum Verständnis der Abläufe einer Erkrankung. Wir lernen, frühe Veränderungen von solchen in weiter fortgeschrittenen Krankheitsstadien zu unterscheiden, was uns Rückschlüsse auf Entstehungsmechanismen und nachgeschaltete Prozesse einer Krankheit erlaubt. Wir erhalten darüber hinaus konkrete Ansatzpunkte für weiterführende, funktionelle Analysen, um Krankheitsmechnismen weiter zu untersuchen. Und natürlich, um möglichst zielgenau in Krankheitsprozesse therapeutisch einzugreifen. Um ein konkretes Beispiel für COVID-19 aufzugreifen: die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, dass der Verschluß von Blutgefäßen durch Gerinnsel für die Krankheit relevant ist, offenbar verursacht durch eine virusbedingte Entzündung der Gefäßwände. Dies erklärt nicht nur die klinische Symptomatik der Patienten sondern erlaubt uns im nächsten Schritt, Therapiestudien aufzulegen in denen versucht wird, eben diese Mechanismen gezielt zu durchbrechen, möglicherweise über eine Hemmung der Entzündungsreaktion oder eine Therapie zum Auflösen der Blutgerinnsel.

Hier werden Obduktionen durchgeführt

Hintergrund:
Informationen zum Institut für Pathologie
In der Pathologie am Klinikum Darmstadt sind derzeit insgesamt 25 Mitarbeiter beschäftigt, von denen die meisten Aufgaben in unseren Labors übernehmen, was vom Anfertigen histologischer Schnittpräparate für die mikroskopische Diagnostik bis hin zu molekularen Analysen reicht. Auf ärztlicher Seite sind in unserer Darmstädter Pathologie 6 Fachärzte und ein Assistenzarzt in Weiterbildung tätig. Mit unserem Team versorgen wird diagnostisch neben dem Klinikum Darmstadt mehrere weitere Krankenhäuser in der Region sowie mehrere medizinische Versorgungszentren und Arztpraxen in und um Darmstadt.

Was bestimmt den Arbeitsalltag eines Pathologen?
Als Pathologen verbringen wir die meiste Zeit des Tages am Mikroskop und beurteilen zytologische und vor allem histologische Gewebeproben, die zum Beispiel als Biopsien im Rahmen einer Darmspiegelung entnommen wurden, oder als Operationspräparate, die zuvor auch eingehend makroskopisch untersucht werden, um diagnostisch relevante Strukturen zu identifizieren. In unseren Diagnosen halten wir beispielsweise fest, ob eine Entzündung vorliegt und welche Ursache diese haben könnte, oder ob ein Tumor vorliegt, ob dieser gut- oder bösartig ist, ob er bereits Metastasen gebildet hat, und ob er durch eine Operation komplett entfernt wurde. Insbesondere bei Tumorerkrankungen wird das Gewebe darüber hinaus häufig mit Spezialfärbungen oder auch durch molekulare Analysen auf Ebene der Gene weiter charakterisiert, um Vorhersagen treffen zu können, welche Therapie für einen Patienten am besten geeignet wäre. Unsere Diagnosen übermitteln wir an die Kollegen, die die Patienten unmittelbar betreuen, auch sämtliche klinischen Befunde überblicken und diese dann mit den Patienten besprechen können. Der Austausch mit den Kollegen ist hierbei häufig sehr intensiv, beispielsweise in den interdisziplinären Tumorboards. Obduktionen, die die öffentliche Wahrnehmung unsere Fachs dominieren, nehmen in unserem beruflichen Alltag tatsächlich relativ wenig Raum ein. 

Wie viele Obduktionen werden im Jahr gemacht? 
Wir haben im vergangenen Jahr knapp unter 100 Obduktionen durchgeführt. Das ist aus unserer Sicht viel zu wenig, leider war jedoch die Anzahl der Obduktionen deutschlandweit in den vergangenen Jahren stark rückläufig. Sehr bedauerlich vor allem deshalb, weil Obduktionen nicht nur Erkenntnisse über neuartige Erkrankungen, wie bei COVID-19 liefern können, sondern auch bei klinisch unklaren oder überraschenden Krankheitsverläufen oder bei neuartigen Therapieformen. Natürlich profitieren die betroffenen Patienten selbst hiervon nicht mehr, aber nachfolgende Patienten, und unter Umständen direkte Angehörige. Wir sehen Obduktionen zudem als Mittel der Qualitätssicherung. 

Braucht es zuvor die Erlaubnis der Patienten oder ihrer Angehöriger?
Ja, entscheidend für die Durchführung einer klinischen Obduktion ist das Einverständnis der Angehörigen. In unserem Erleben fällt es Angehörigen oftmals schwer, ihre Zustimmung zu einer Obduktion zu erteilen. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass die Auseinandersetzung mit diesem Thema bei einem schmerzvollen Verlust von Angehörigen einiges abverlangt, und dass die Versuchung groß sein mag, die unangenehme Situation mit einem schnellen „Nein“ zu beenden. Auf der anderen Seite melden sich immer wieder Monate später Angehörige bei uns, weil mit dem zeitlichen Abstand Fragen zu den Krankheits- und Todesumständen der Angehörigen aufkommen, die wir dann natürlich nicht mehr klären können. Eine Rolle bei der Entscheidung mag auch die nicht selten würdelose Darstellung von Obduktionen in Kriminalfilmen spielen, die mit der Realität allerdings herzlich wenig zu tun hat. Um Angehörigen weitere unbegründete Sorgen wie finanzielle Belastungen oder zeitliche Verzögerungen bei der Bestattung zu nehmen, haben wir vor einiger Zeit Informationsbroschüren entworfen, die die Kollegen im Klinikum bei der Aufklärung der Angehörigen unterstützen sollen.

Werden in der Pathologie am Klinikum weitere wissenschaftliche Studien gemacht?
Momentan wird in unserer Pathologie im Rahmen einer Promotionsarbeit eine Serie von Herzmuskelbiopsien wissenschaftlich ausgewertet. Ich selbst bin an mehreren Studien zum Thema Bauchspeicheldrüse beteiligt, wobei die wissenschaftliche Laborarbeit hier zu einem Großteil an meiner vormaligen Wirkungsstätte in Heidelberg stattfindet. Darüber hinaus begleiten wir wissenschaftliche Projekte unserer Kollegen im Klinikum. Obduktionsstudien werden derzeit nicht durchgeführt.

Weitere Informationen:

Institut für Pathologie am MVZ