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Zurück ins alte Leben

Die 76 Jahre alte Bärbel K. hat nichts ausgelassen und es dennoch zurück in die Selbständigkeit geschafft: "Dank einer Armada an Schutzengeln und einem Heer toller Ärzt*innen und Pflegekräften"

Anfang 2022 erhielt Bärbel K. die Diagnose Brutkrebs. Eine erste Chemotherapie, die sie Mitte Februar 2022 in Heidelberg erhielt, „hat sie umgehauen“, wie sie es ausdrückt. Zunächst hatte sie diese gut vertragen, aber ein paar Tage danach wurden die Schmerzen im Bauch unerträglich. Tochter Svea brachte sie schließlich in die Zentrale Notaufnahme des Klinikums Darmstadt. 

Danach ging alles sehr schnell: Es wurde ein Darmverschluss diagnostiziert, eine Not-Operation musste erfolgen. Die Tochter erzählt: „Die Entzündungen im Bauch waren bereits so gravierend und ihr Immunsystem aufgrund der einen Chemotherapie so geschwächt, dass meine Mutter eine Sepsis bekam. Das alles passierte am 24. Februar 2022 – der Krieg in der Ukraine hatte begonnen und meine Mutter lag auf der Intensivstation… meine Welt war aus den Fugen“. 

Aufgrund ihres kritischen Zustands musste Bärbel K. auf der Intensivstation ins künstliche Koma verlegt und beatmet werden. Infolge der Sepsis kam es zu Multiorganversagen. Dialysen, Bluttransfusionen und mehrere Reanimationen waren nötig. Täglich habe das Team der Intensivstation um das Leben der Mutter gekämpft. Die Tochter war zweimal in der Woche am Bett – trotz Corona-Pandemie: „Ich war extrem dankbar, dass das im Klinikum möglich war.“ Und an den Tagen, an denen sie nicht kommen konnte, habe sie täglich telefonisch Auskunft über den Zustand der Mutter erhalten.


„Das Team hat wirklich alles gegeben!“

„Eine Katastrophe löste die andere ab“, erzählt sie weiter. Die Mutter sagt: „Ich habe nichts ausgelassen.“ Und die Tochter ergänzt: „Eine ganze Armada von Schutzengeln und ein Heer von großartigen Ärzt*innen und Pflegekräften auf der Intensivstation haben meine Mutter beschützt und ihr täglich das Leben gerettet. Besser als dort hätten wir es nicht treffen können. Das Team hat wirklich alles gegeben!“ Nach 5 Wochen schließlich hatte sich ihr Zustand soweit stabilisiert, dass sie aus dem künstlichen Koma wieder aufgeweckt werden konnte.

Wenn sie nach der Zeit auf der Intensivstation gefragt wird, sagt Bärbel K.: „Das war nicht ich, die da lag.“ Echte Erinnerungen hat sie an die fünf Wochen nicht, nur an einige Alpträume. 

„Ich hatte Angst, dass etwas übrigbleibt, dass ihr geistiger Zustand nach allem, was sie durchgemacht hat, ein anderer sein könnte“, so die Tochter. Aber, so erzählt sie schmunzelnd weiter, „als meine Mutter aufgewacht ist, konnte sie nichts bewegen und nicht sprechen, aber an ihren total genervten Blicken konnte ich sehen, dass der Kopf sehr wohl klar war.“ 

Infolge der Sepsis und der langen Wochen im künstlichen Koma litt Bärbel K. nach dem Aufwachen unter einer „Critical Illness Polyneuropathie“ und konnte dadurch zunächst weder Arme noch Beine bewegen. Durch den für die künstliche Beatmung notwendigen Luftröhrenschnitt konnte sie zudem in den ersten Tagen auch nicht sprechen. Eine für alle sehr herausfordernde Situation: Mit Buchstabentafeln hat sich die Familie, zu der auch der Schwiegersohn zählt, zunächst mühsam verständigt. „Die Zeit, in der ich mich nicht bewegen konnte, war furchtbar. Das war eine ganz schreckliche Situation. Dich juckt etwas im Gesicht, und du kannst dich nicht kratzen“. 

Sprechen lernen mit Hilfe des Atemtherapeuten

Es sollte noch lange dauern, bis Bärbel K. wieder alles bewegen konnte. Noch auf der Intensivstation begann das langsame Sprechenlernen mit dem Atemtherapeuten Robert Hammerschmidt. „Robert rief mich eines Tages an und meinte, meine Mutter wolle mich sprechen. Doch ihre Stimme klang so anders, dass ich sie nicht erkannt habe. Das lag aber auch daran, dass sie mich bat, ihr bei meinem nächsten Besuch eine Cola mitzubringen. Ausgerechnet Cola! Die hat sie früher nie getrunken! Ich habe mir dann extra nochmal Robert ans Telefon holen lassen, um sicher zu gehen, dass es wirklich meine Mutter war, mit der ich gesprochen hatte. Als ich dann begriff, dass sie es wirklich war, das war ein riesiger Glücksmoment!“

Und dann war da ja noch das Thema Brustkrebs. Dieser konnte ja infolge der unvorhergesehenen lebensbedrohlichen Komplikationen zunächst nicht weiter behandelt werden. Eine erneute Chemotherapie war nach den Komplikationen undenkbar, sodass das Tumorboard in ihrem Fall stattdessen eine sofortige Operation empfahl: Diesmal hatte Bärbel K. Glück: Der Tumor stellte sich nach der OP als „tot“ heraus.  „Und ich war´s dreiviertel“, lacht Bärbel K. nach all den überstandenen Schrecken. 

Wie Dr. Thorsten Wenzel, Leitender Oberarzt der Medizinischen Klinik V – Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin erläutert, ist es gar nicht so selten, dass systemische Chemotherapien mit Antikörpern zu einem kompletten Rückgang der Brustkrebszellen im operativ entfernten Brustgewebe führen. „In einzelnen Fällen reicht sogar eine einmalige Systemtherapie aus, um alle Krebszellen abzutöten. Doch das Gute bringt eben auch Negatives mit sich. So ist eine Darmperforation infolge einer schweren Schleimhautentzündung eine seltene, aber eine mögliche Nebenwirkung. Daher ist es sehr erfreulich, dass die Patientin all diese intensivmedizinischen Komplikationen so gut hinter sich gebracht hat.“ 

Nach der Intensivstation ging es für Bärbel K. auf die Intermediate Care und anschließend auf die Chirurgische Station. Erst dort setzte langsam die Erkenntnis ein, was ihr widerfahren war und in welch eingeschränktem körperlichen und hilfebedürftigem Zustand sie sich befand. Damit einher ging eine gewissen Ungeduld mit sich und anderen: „Ich glaube auf der Normalstation war ich eine sehr ungnädige Patientin. Ich bin sogar sehr garstig gewesen,“ räumt Bärbel K. ein. 

Aufgeben kam nicht in Frage

Kurz vor der Entlassung in die Reha führte die Tochter ein Gespräch mit dem behandelnden Chirurgen über die weitere Prognose für ihre Mutter. Dieser malte ein eher düsteres Bild: Aufgrund der schweren Critical Illness Polyneuropathie und der damit einhergehenden stark verminderten Bewegungsfähigkeit schloss er eine Rückkehr in eine selbständige Wohnsituation aus. Für Mutter und Tochter kam ein Aufgeben jedoch nicht in Frage. In der Reha in Bad Camberg lernte Bärbel K. langsam und mühevoll wieder das selbständige Sitzen und Stehen, sie trainierte die Feinmotorik ihrer Hände und konnte ihrer Familie nach drei Monaten stolz ihre ersten wackeligen Schritte am Rollator präsentieren. 

Nach der Reha entschied die Familie, die Mutter für drei Monate zu sich nach Hause zu holen – „Das war die Zeit, die wir uns nehmen wollten, meine Mutter aufzupäppeln und zu versuchen, sie so zu mobilisieren, dass sie wieder alleine leben kann!“. Bärbel K. sagt: „Ich wollte unbedingt zurück in meine Wohnung!“.
Zuhause bei der Familie bestand das Aufbauprogramm vor allem aus Physiotherapie und Treppenlaufen mit dem Enkel. „Neben den Kochkünsten meines Mannes haben vor allem die im Krankenhaus und der Reha neu entdeckte Vorlieben meiner Mutter für Gummibärchen, Cola und Cornflakes dazu beigetragen, sie auch gewichtsmäßig wieder aufzupäppeln, scherzen die beiden Frauen miteinander. Bei Ankunft in Frankfurt wog Bärbel K. nur noch 37 Kilo: „Wir haben sie drei Monate lang gemästet auf immerhin 42 Kilo. Endlich sah sie nicht mehr wie der lebende Tod aus“, erinnert sich Svea K.. Und die Mutter ergänzt dankbar: 

„Ich habe das alles Svea zu verdanken. Und meinem Schwiegersohn. Sie hatten vom Pflegebett über den Pflegedienst, die Hausbesuche des Arztes und den Physiotherapeuten alles für mich organisiert“.

Schritt für Schritt hat sich Bärbel K. über Wochen und Monate ihr Leben zurückerobert. Mit dem Rollator zum Einkaufen, zur Physio, die Treppe hoch und runter, peu a peu eigenständig Dinge machen. Mit dem Enkel in die Eisdiele. Und irgendwann war er da, der Tag, an dem sie wieder selbständig leben konnte.

Körper oder Wille, wer weiß das schon?

Bärbel K. hat es geschafft: seit Ende Oktober 2022 ist sie in ihre alte Wohnung im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses zurückgekehrt. „Zuerst habe ich mich fremd gefühlt hier in der leeren unbewohnten Wohnung. Aber ich bin gerne alleine.“

Rückblickend sagt sie: „Mein Körper ist schon toll, er hat so viel geleistet… war es mehr mein Körper oder mein Wille, wer weiß das schon?“
Und die Tochter resümiert: „Ja, wir haben als Team und Familie gut funktioniert. Und es kam ganz viel Positives zusammen: Ihr starker Wille, ihre Ungeduld, die vielen Schutzengel, die Freunde, die Anteil genommen und unterstützt haben und natürlich das tolle Team der Intensivstation des Klinikums Darmstadt. Meine Mutter ist wieder da – auch wenn jetzt manches anders ist, zum Beispiel ihre Stimme immer noch etwas belegt klingt, die Haare kürzer und grau und nicht mehr rot gefärbt sind. Aber sie ist mit kleinen Einschränkungen wieder fit und kann selbständig leben.“ 

Inzwischen fährt Bärbel K. sogar wieder Rad. Und mit dem Auto zweimal die Woche zur Arbeit, nach Heppenheim. Dort ist sie Bilanzbuchhalterin in einem mittelständischen Unternehmen. „Das ist ein toller Beruf, den kann man machen bis zum Tod.“ 

Dem ist sie schon mehrfach von der Schippe gehüpft. Und wenn es nach ihr und ihrer Tochter geht, dann bleibt das auch noch eine ganze Weile so.

Besondere Momente auf der Intensivstation 

Sowohl Mutter, als auch Tochter, Schwiegersohn und Enkel sind so dankbar für die „großartige Arbeit aller Menschen auf der Intensivstation im Klinikum Darmstadt“, dass sie dem Team vor Weihnachten - beladen mit selbstgemachten Plätzchen und Kerzen - einen Besuch abgestattet haben. Eine Begegnung, die für beide Seiten besonders war. 
„Wenn ehemalige Patienten uns besuchen, erzeugt das immer eine besondere Stimmung. Wir bekommen vor Augen geführt wofür wir unsere Arbeit tun. Die Professionalität und Sachlichkeit, die sonst unseren Stationsalltag bestimmen, weicht für kurze Zeit einer Mischung aus Erleichterung, Begeisterung und auch Stolz. Da weißt du wofür die ganzen Mühen und Anstrengungen gut waren“, sagt Atemtherapeut Robert Hammerschmidt.

Und auch Dr. Ulrike Wiedekind, Leitende Oberärztin der Intensivmedizin, bestätigt das: „Frau K. hat mit unserer Hilfe und vor allem Dank ihres Willens und der guten familiären Unterstützung zweimalig einen septischen Schock überstanden und sich über Wochen und Monate hinweg ein eigenständiges Lebern zurückerobert. Am Tag vor ihrer Verlegung von Intensivstation auf die IMC sagte Frau K. zu mir: “Ich komm sie besuchen, wenn ich wieder Haare habe.“  Das hat Sie ja auch wirklich getan und es war für alle im Team ein besonderer Moment!“

Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin